In diesem Artikel werde ich:
- Beschreiben wie Organisationen während der Transformation wieder in alte Denkmodelle verfallen, wenn es Probleme auf dem Weg in die Selbstorganisation gibt.
- Versuchen zu ergründen warum das so ist.
- Aufzeigen wie meine passende Reaktion aussehen würde und was dieses bewirkt.
Einstieg
Traditionelle Strukturen und Informations- bzw. Befehlsketten in Unternehmen boten in der Vergangenheit die Lösung für damals bestehende Problemstellungen (z.B. den Zugang zu raren Informationen die nur in der Unternehmensführung vorhanden waren oder zusammenliefen und darauf basierend das Treffen von Entscheidungen). Sie dienten also einem Zweck und waren unter den gegebenen Rahmenbedingungen sinnvoll und hilfreich.
In der aktuellen sich schnell verändernden und mit Zugang zu einer Vielfalt an Informationen ausgestatteten Welt stellen sich diese Strukturen teilweise als hinderlich heraus. Entscheidungsprozesse werden verlangsamt, Informationen über die verschiedenen Ebene hinweg gefiltert und reinterpretiert.
So begeben sich einige Unternehmen bspw. mit einem Teil ihrer Organisation (Fachbereiche, Abteilungen, Teams) auf den Weg in die Selbstorganisation um schnellere Entscheidungsprozesse auf der Basis von Informationen aus erster Hand zu unterstützen, kundenzentrierter zu arbeiten und so mehr Wert für Kund*innen zu schaffen.
Der Weg in die Selbstorganisation ist jedoch ein steiniger: Bestehende disziplinarische Führung soll abgegeben werden, Verantwortungen für ein Produkt oder einen Service werden verteilt und Teams sollen sich selbst organisieren anstatt sich auf eine*n Teamleiter*in zu verlassen.
So kommt es also vor (vielleicht ist es sogar die Regel), dass sich Teams auf diesem Weg schwer tun. Bspw. sind Rollen nicht klar definiert, das Zielebild nicht deutlich kommuniziert oder vereinbarte und definierte Rollen werden nicht vollständig ausgefüllt. Hinzu kommt, dass Veränderungen für viele Menschen schwer sind und sie auch mit Ängsten wie Machtverlust einhergehen.
Was aber tun einige Organisationen bspw. in dem Fall, dass in einem Team die Rollen nicht von allen Teammitgliedern wie vereinbart ausgefüllt werden?
Der Fall
Gehen wir von einem Team mit 5 Mitgliedern aus. Sie sind Teil einer Abteilung mit insgesamt 3 Teams die sich alle gemeinsam auf dem Weg zur Selbstorganisation befinden. Die früheren Stellen der Teamleitung wurde abgeschafft, ehemalige Teamleiter sind entweder gleichberechtigter Teil des Teams geworden oder haben andere passendere Rollen für sich gefunden. Neben dieser Abteilung gibt es noch weitere Abteilungen in dem Fachbereich welche weiterhin klassisch aufgestellt sind (mit Team- und Abteilungsleitung). Alle Abteilungen berichten an eine Fachbereichsleitung. Auch der Rest des Unternehmens ist weitestgehend klassisch hierarchisch aufgebaut.
Im ersten Schritt hat das besagte selbstorganisierte Team das Spielfeld definiert, auf dem sie sich bewegen werden und den Rahmen im bestehenden System abgestimmt, in dem sie sich selbstorganisiert bewegen und entscheiden dürfen. Es wurden bereits einige interne Rollen definiert genauso wie ein gemeinsamer Team-Purpose, einem Strang an dem alle Mitglieder in eine Richtung ziehen. Auch Teamroutinen, wie gemeinsamen Retrospektiven, wurden etabliert.
Einzelne Teammitglieder scheinen jedoch die vereinbarten Rollen nicht vollumfänglich (oder in angemessener Qualität) auszuüben, dieses kommt aber im Rahmen der Retrospektiven nicht zur Sprache. Sichtbar wird es nur dadurch, dass die internen Kunden immer unzufriedener mit dem Team werden. Dieses wird an die Fachbereichsleitung herangetragen, die nun überlegt, wie sie darauf reagieren kann.
Das Problem
Was ist das Problem?
Es besteht die Gefahr, dass die Fachbereichsleitung (für die es auch die ersten Schritte mit selbstorganisierten Teams ist) schnell und routinemäßig in alte Handlungsmuster verfällt: Erfüllen (Teile) eines selbstorganisierten Teams nicht die Anforderungen, tendiert die Fachbereichsleitung routinemäßig dazu eine disziplinarische Verantwortung zu erteilen (bspw. durch ein neuen Rolle die diese wahr nimmt) und im Endeffekt so wieder eine Hierarchie aufzubauen mit allen Stärken und Schwächen die sie mit sich bringt. Die Verantwortung des Teams dieses Problem selber anzusprechen und so lösbar zu machen wird dem Team genommen
Diese über Jahre hinweg erlernten und (zwar mit alten Problemstellungen) verprobten Denkmuster bringt der Fachbereichsleitung Sicherheit (“Hat früher funktioniert, wird wieder funktionieren, wie auch sonst?”). Diese etablierten Denkmuster erscheinen als attraktive Abkürzungen um das Problem zu lösen. Es handelt sich um eine gewohnte Denkweise, die nicht von jetzt auf gleich im menschlichen Gehirn abgestellt werden kann.
Was von der Fachbereichsleitung hier nicht bedacht wurde ist, dass der Weg zurück zu einer in Rollen versteckten klassischen Hierarchie das Team demotivieren kann (“was ist denn hier jetzt noch selbstorganisiert?”), es nimmt dem Team außerdem die Chance sich weiter zu entwickeln und zu lernen (bspw. durch das eigenständige Lösen des Problems im Team). So kann es auch Teams geben die, sobald die Verantwortung aus dem Team ausgelagert wird, sich darauf berufen, dass “das doch endlich mal von der Rolle geregelt werden müsste, das liegt ja nicht in unserer Verantwortung”. Von Selbstorganisation ist dann so schnell nichts mehr zu spüren
Ein möglicher Lösungsweg
Wie könnte also ein alternativer Lösungsweg aussehen?
Anstatt das Team aus der Verantwortung zu nehmen, sollte geschaut werden, was das Team daran hindert in der aktuellen Situation die Verantwortung wahrzunehmen. Dazu braucht es eine beobachtende Partei von außen die ggf. als Impulsgeber*in die passenden Fragen stellt. (Coach)
- Fühlt sich das Team überhaupt als Team?
- Ziehen alle an einem Strang, gibt es wirklich einen gemeinsamen Purpose des Teams mit dem sich alle Mitglieder identifizieren?
- Herrscht eine Kultur des Vertrauens als Voraussetzung für offenes Feedback und eine Kultur des voneinander lernen?
Fehlen bereits diese Basis-Elemente in der Teamkultur, so werden Konflikte wie in diesem Fall, dass einzelne Teammitglieder die vereinbarte Rolle nicht ordentlich ausfüllen, niemals auf den Tisch kommen um gelöst zu werden, da es die gesamte Harmonie gefährdet. Das Ergebnis (nach Patrick Lencioni, 5 Dysfunctions of a Team) ist eine künstliche Harmonie.
Und um dem Konzept von Lencioni zu folgen erzeugt dieses fehlendes Commitment (“ja, das haben die im Teammeeting beschlossen, aber ich war nicht dafür”), das wiederum sorgt dafür, dass Verantwortungen nicht wahrgenommen werden und niedrige Standards akzeptiert werden (“ist mir ja egal, ob ein Teammitglied die Rolle ordentlich ausfüllt”) was wiederum zu einer fehlenden Ergebnisorientierung auf der Teamebene führt (“Teamziele sind mir egal, ich habe meine eigenen Ziele”) und so auch zur Unzufriedenheit der Kund*innen führt.
Meine konkreten Maßnahmen
Was also tun?
Ich könnte jetzt sagen “Enablet eure Teams die Verantwortung zu übernehmen” und der Artikel wäre damit zu Ende, das ist mir aber zu wenig.
Teams mit einer wie oben beschriebenen Problemstellung benötigen eine Hilfestellung von außen, ein*e Beobachter*in und später dann Impulsgeber*in, um die passenden Fragen zur Reflexion zu stellen, also einen Coach, der/die nicht zu dem Team gehört und einen anderen Blick auf die Zusammenarbeit im Team hat.
Ich würde in diesem Fall als Coach folgende Fragestellungen beleuchten:
- Wer stellt die Beobachtung auf, dass die Rollen nicht ausgefüllt werden?
- Warum diskutiert die Person dieses Thema nicht offen im Team?
- Was ist schlimmsten Falls zu befürchten?
- Gibt es überhaupt einen “Raum” im Team, um diese Themen zu adressieren?
- …
Basierend auf diesen Beobachtungen würde ich persönlich dann dem Konzept von Lencioni folgen, und über die Basis von Vertrauen und daraus resultierender Offenheit erste kleinere Spannungen bearbeiten um später, wenn der sichere Raum aufgebaut ist, auch die großen Spannungen prozessieren zu können. Das Konzept der spannungsbasierten Arbeit (und damit einhergehend die Übernahme von Verantwortung für die eigene Spannung) darf aus meiner Sicht hier nicht fehlen, darauf gehe ich aber sicherlich in einem zukünftigen Artikel noch einmal ein. (Für Neugierige hier ein Link zu einem Artikel in der Neuen Narrative).
Wie erzeuge ich nun das Vertrauen im Team, und ein Wir-Gefühl?
Das ist natürlich unterschiedlich, je nach Alter und Reife des Teams, was aber nie schaden kann:
- Sich besser kennen lernen auf einer persönlichen Ebene. Es muss nicht gleich der Segel-Turn zum Team-Building sein, aber ein gemeinsamer Workshop um bspw. an einem gemeinsamen Purpose, an einer Vision vielleicht sogar an einem gemeinsamen Wertegeflecht zu arbeiten kann hier nicht schaden. Gepaart mit persönlichen Themen die im Workshop an den passenden stellen eingebunden werden kann dieses bereits der erste Schritt zu mehr Teamgefühl und Vertrauen sein
- Einen sicheren Raum für Feedback und die Retrospektive schaffen. Bspw. Kann anhand des 4-Spaces Models beleuchtet werden, ob überhaupt ein Raum / eine Möglichkeit für bewusstes Feedback oder eine Reflexion innerhalb des Teams vorhanden ist. Hier ist wichtig einen “bewussten” Raum zu schaffen, so dass alle Mitglieder vorbereitet sind auf das was kommt (sowohl inhaltlich als auch mental) um nicht überrascht zu sein.
- Wenn Unsicherheit besteht wie Feedback formuliert werden kann, sind einfache GFK Übungen ein guter erster Schritt (auch wenn es manchen zu simpel und zu Basic vorkommen mag). WWW Feedback (Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch) oder auch die SAG-ES Methode (Sichtweise, Auswirkung, Gefühle, Erfragen, Schlussfolgerung) sind hier einfache Modelle, an denen sich “ungeübte” im Feedback geben entlang hangeln können um sicherer im Feedback geben zu sein
Fazit
- Menschen verfallen schnell in gewohnte Denkweisen da sie eine schnelle und attraktive Abkürzung zur Lösung von Problemen darstellen
- Die Einführung einer “versteckten” Hierarchie zur Lösung eines Problems in einem selbstorganisierten Team führt zu Demotivation und hebelt den Sinn der Selbstorganisation aus
- Die Befähigung eines Teams durch angemessenes Coaching und passende Methoden ist eine von mir bevorzugte Vorgehensweise um dem Team die Weiterentwicklung und kontinuierliche Lernen zu ermöglichen
