In diesem Beitrag werde ich
- Aufzeigen woran das schnelle Entscheiden in Gruppen oft scheitert.
- Beschreiben welche Themen geklärt sein müssen um Entscheidungen schneller treffen zu können.
- Konkrete Methoden (Delegation Poker & Integrativer Entscheidungsprozess) anbieten, die mir bei Entscheidungen in Gruppen bisher hilfreich waren.
Das Problem
Wer kennt es nicht? Es soll eine Entscheidung in einer Gruppe, sagen wir in einem Projektteam, getroffen werden. Als Beispiel für eine Entscheidung stellen wir uns vor, dass in der Produktentwicklung darüber entschieden werden muss ob auf ein kostengünstigeres aber weniger nachhaltiges Material oder ein nachhaltiges aber hochpreisiges Material zurückgegriffen werden soll. Es entsteht eine lange Diskussion. Fragen und Antworten werden ausgetauscht, teilweise fehlen Informationen, die Frage kommt auf, ob das Projektteam überhaupt entscheiden darf, usw. Im besten Fall wird dann irgendwann eine Entscheidung getroffen (oft eine Mehrheitsentscheidung) mit der ein Teil des Teams unzufrieden ist und der andere Teil sich fragt, wie (und wer) diese Entscheidung nun kommuniziert (und an wen überhaupt?). Im schlechtesten Fall wird die Entscheidung vertagt und es werden fehlende Informationen eingeholt oder sich rückversichert, ob die Entscheidung überhaupt getroffen werden darf. Dabei gilt doch eigentlich der Spruch “Besser eine schlechte Entscheidung als gar keine”.
Was ist passiert?
Das Problem in der oben beschriebenen Situation (die ich so oder so ähnlich schon mehrfach erlebt habe) ist Mehrschichtig. Zusammenfassend kann ich sagen, dass der Kontext, in dem die Entscheidung getroffen werden soll, nicht klar genug definiert ist. Zu diesem Kontext gehören die folgenden Fragestellungen:
Im Allgemeinen:
- Wer kann und darf Entscheidungen treffen?
- Wie dürfen Entscheidungen getroffen werden?
- Was ist die Unternehmensstrategie die bei der Entscheidungsfindung verfolgt werden soll?
In der spezifischen Entscheidungssituation:
- Worüber soll entschieden werden?
- Welches Umfeld ist von der Entscheidung betroffen?
- Wie soll die Entscheidung getroffen werden?
Wer kann und darf Entscheidungen treffen?
In der traditionellen Denkweise liegt die Entscheidungsbefugnis einzig und allein bei der disziplinarischen Funktion. Daraus resultieren auch die Ausdrücke wie “HIPPO – Higher Paid Person’s Opinion” oder das Sprichwort “Ober sticht unter”. Der Vorteil ist hier, dass die Entscheidungsbefugnis jedem klar ist (der/die Chef*in entscheidet, und kein*e andere*r) und in letzter Instanz ist es damit die oberste Führungsspitze des Unternehmens. Die Nachteile in der heutigen Zeit liegen damit aber auch auf der Hand, da genau diese Entscheider*innen nicht notwendigerweise mehr mit den richtigen Informationen ausgestattet sind um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Außerdem bilden sie oft einen Flaschenhals, der schnelle Entscheidungen verhindert.
Etwas fortschrittlichere Organisationen delegieren Entscheidungen an fachliche Funktionen die entweder von einzelnen Personen (als Rolle) oder von einem Team wahrgenommen werden. Der Unterschied zur Entscheidung in der disziplinarischen Funktion ist, dass die Rollen oder das Team mit Expert*innen besetzt sind die über die wichtigsten Informationen verfügen um die richtige Entscheidung treffen zu können.
Ist nun unklar wer in einem bestimmten Themengebiet (z.B. in dem oben beschriebenen Projektkontext) Entscheidungen trifft (das Projektteam als Expert*innen oder eine disziplinarische Führungskraft), verzögert oder verhindert dieses den Entscheidungsprozess.
Somit wird klar, dass genau diese Unklarheit so früh wie möglich angesprochen und geklärt werden muss.
Wie dürfen Entscheidungen getroffen werden?
Selbst wenn, wie oben beschrieben, geklärt ist, wer über bestimmte Themen Entscheidungen treffen darf, beschreibt das noch nicht wie diese Entscheidungen zustande kommen sollen. Schließlich wurde die Entscheidungskompetenz bspw. an das Projektteam delegiert, d.h. es muss auch geklärt werden in wie fern der/die Delegator*in einbezogen werden soll (oder andersherum, wie das Projektteam bei der Entscheidung durch eine Führungskraft einbezogen werden soll). Zwischen den Mechanismen “Die Führungskraft entscheidet alleine und verkauft die Entscheidung” und “Das Projektteam entscheidet eigenständig” liegen viele Nuancen die zu späteren Unstimmigkeiten führen können. Je genauer diese Nuancen vereinbart wurden, desto sicherer fühlt sich das Projektteam bei der Entscheidungsfindung. Und diese Sicherheit beschleunigt wiederum das Entscheiden selber.
Ein nützliches und mittlerweile schon weit verbreitetes Hilfsmittel um genau diese Vereinbarungen zu treffen ist das Delegation Poker in Verbindung mit dem Delegation Board. Hier werden sieben Level der Delegation definiert, um die Art und Weise der Entscheidungsfindung zwischen einer Führungskraft und einem Team zu vereinbaren. Dabei wird genau differenziert wie die Partei, die die Entscheidung nicht selber trifft, in die Entscheidungsfindung (bspw. durch Informationen oder durch den Einbezug des Standpunkts) einbezogen werden soll.
Da die Methode bereits in vielen Blog-Beiträgen und Videos beschrieben ist, verzichte ich hier auf eine Beschreibung und verlinke lieber einige nützliche Quellen:
Management 3.0 – Delegation Poker & Delegation Board
t2informatik – Wissen kompakt – Delegation Poker Definition
Was ist die Unternehmensstrategie die bei der Entscheidungsfindung verfolgt werden soll?
Der Link der Unternehmensstrategie zur oben beschriebenen Entscheidungs-Situation erschließt sich möglicherweise nicht auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass die Entscheidung, die getroffen werden soll, durchaus einen strategischen Bezug hat. Verfolgt das Unternehmen eine Kostenführerschaft? Setzt das Unternehmen auf nachhaltige Produkte? Oder sind beide Aspekte für das Unternehmen nicht entscheidend, sondern vielleicht ein ganz anderer Aspekt? So lange die Unternehmensstrategie für die Beteiligten unklar ist, werden Entscheidungen sich entweder verzögern (bis die Klarheit erreicht ist) oder aber sogar in die falsche Richtung getroffen werden. Umso wichtiger ist es also im Kontext der Entscheidungsfindung immer den Link zur Unternehmensstrategie herzustellen und zu beleuchten, in wie fern die Entscheidung auf die Strategie einzahlt. Dieses kann die Entscheidungsfindung erleichtern und auch beschleunigen. Andersherum könnten so auch Themen identifiziert werden, die gar nicht auf die Strategie einzahlen, und damit in Frage gestellt werden.
Es wird also klar warum vor allem in der heutigen Zeit, in der viele Entscheidungen nicht mehr von den Führungskräften getroffen werden sollen, es umso wichtiger ist, die Unternehmensstrategie leicht verständlich und transparent so früh wie möglich an die Mitarbeiter*innen zu kommunizieren, oder, im besten Fall, diese sogar mit den Mitarbeiter*innen gemeinsam zu entwickeln.
Worüber soll entschieden werden?
Ein weiterer Grund, warum Entscheidungsfindungen zum Teil verlangsamt werden, ist, dass unklar ist, worüber entschieden werden soll. Soll bspw. über das Vorgehen an sich oder den Inhalt entschieden werden? Baut die Entscheidung auf einer bereits getroffenen Entscheidung auf, oder handelt es sich um etwas neues? Wichtig ist es also, dass noch vor der Vorstellung eines Vorschlags erst geklärt wird, worüber entschieden werden soll (und worüber nicht), dass also der Kontext beschrieben wird. Eine Diskussion wird anders geführt, wenn das Vorgehen an sich diskutiert wird, als wenn der Inhalt diskutiert wird. Wird beides vermischt, so entsteht Verwirrung und Unklarheit.
Die Einleitung könnte also so sein:
- “Vor einigen Wochen haben wir entschieden, dass wir XY machen werden.”
- “Daraus ergibt sich nun, in der Umsetzung, die Fragestellung ob wir links oder rechts herum gehen wollen. Wenn keine neuen Informationen zur Verfügung stehen, dann steht die Entscheidung, dass wir einen Weg gehen, nicht zur Debatte.”
- “Ich stelle euch gleich beide Optionen vor, und wir sollten am Ende gemeinsam entscheiden, welchen Weg wir verfolgen.”
- “Inhaltlich gestalten wir den Weg dann im Folgenden aus.”
Alleine diese Klarheit am Anfang der Diskussion erlaubt es, dass die Teilnehmer*innen sich auf die entscheidenden Aspekte konzentrieren und erlaubt es dadurch die Entscheidung fokussierter und schneller zu treffen.
Das beschriebene Vorgehen setzt allerdings auch voraus, dass eine Entscheidungsfindung vorbereitet ist und “offene” Diskussionen vermieden werden. Erscheint also eine neue Fragestellung während eines Meetings, muss die Frage gestellt werden, ob diese Frage ohne weitere Informationen “spontan” beantwortbar ist, oder ob sie eine Vorbereitung benötigt. Im letzteren Fall stellt sich also nicht die inhaltliche Frage im Meeting, sondern nur die Frage wer sich bis wann um die Entscheidungsvorbereitung kümmert.
Welches Umfeld ist von der Entscheidung betroffen?
Sobald Klarheit über die “Sache” besteht, die entschieden werden soll, ist im Nachgang zur konkreten Entscheidung auch zu definieren, wer von der Entscheidung betroffen ist und wie die Entscheidung kommuniziert wird. Eine getroffene Entscheidung, die nicht an die Betroffenen kommuniziert wird, wirkt wie eine nicht getroffene Entscheidung. Das heißt, dass die konkrete Frage nach der Entscheidungsfindung lauten muss: “Wer muss informiert werden? Wie wird informiert? Wer von uns macht es und bis wann?”. Das klingt einfach und rudimentär, wird aber oft genug vergessen.
Wie soll die Entscheidung getroffen werden?
Ist der Kontext der Entscheidungsfindung nun geklärt, stellt sich noch die Frage, wie die Entscheidungsfindung in einer Gruppe effizient gestaltet werden kann.
Dazu lassen sich verschiedene Formen der Entscheidungsfindung unterscheiden:
Konsensentscheid
Bei dem Konsens handelt es sich um eine einstimmige gemeinsame Entscheidung in der Gruppe. Die Entscheidung kann erst getroffen werden, wenn alle Mitglieder einstimmig zustimmen. Das führt ggf. zu langen Diskussionen die sehr tief in das Detail gehen können.
Mehrheitsentscheid
Bei dem Mehrheitsentscheid trifft entweder die absolute oder die relative Mehrheit der Gruppe die Entscheidung. Das führt dazu, dass ein Teil der Gruppe mit der Entscheidung unzufrieden ist was wiederum zu regelmäßigem infrage stellen der Entscheidung führen kann. Auch berechtigte Einwände finden nicht zwingend Gehör.
Konsententscheid
Der Konsent dreht das Entscheidungsprinzip um. Es wird danach entschieden, ob es echten Widerstand bzw. Valide Einwände in der Gruppe gibt. Ist kein Widerstand vorhanden wird die Entscheidung gefällt. Wird ein Widerstand vorgebracht muss entweder der Vorschlag angepasst oder die Entscheidung verschoben werden.
Keine dieser drei Entscheidungsformen ist generell besser oder schlechter. Es geht darum bewusst eine passende Entscheidungsform für die Situation auszuwählen. Ist es wichtig, dass alle einstimmig zustimmen, sämtliche Details akzeptiert werden usw. dann macht ein Konsensentscheid und die damit verbundene Zeit die in den Entscheidungsprozess investiert wird, Sinn. Ist die Entscheidung eher unkritisch, muss einfach nur schnell getroffen werden und es besteht wenig Diskussionsbedarf, dann kann ein Mehrheitsentscheid die richtige Wahl sein. Soll jedoch möglichst wenig Widerstand in einer Gruppe bzgl. der Entscheidung herrschen und die Entscheidung dennoch schnell getroffen werden, so scheint der Konsent eine gute Wahl zu sein.
Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit dem Konsententscheid gemacht, vor allem durch die Anwendung von passenden Methoden.
Der Integrative Entscheidungsprozess (Konsententscheid)
Mit der Hilfe des Integrativen Entscheidungsprozesses (engl. Integrative Decision Making, IDM) lassen sich strukturiert in Gruppen Entscheidungen treffen indem Feedback und valide Einwände integriert werden bis Widerstände ausgeräumt sind. Dabei ist es wichtig inhaltlich klärende Fragen zu einem Vorschlag klar von Feedback zu trennen und dem/der Vorschlagsinhaber*in die Möglichkeit zu geben Einwände und Feedback direkt in einen Vorschlag zu integrieren. Der Ablauf ist wie folgt (üblicherweise eingebettet in ein Meeting)
- Problem- und Lösungsvorschlag beschreiben
Beschreibung des Problems, das gelöst werden sollte und im Anschluss die Erläuterung des Lösungsvorschlags durch den/die Vorschlagsinhaber*in.
- Klärende Fragen stellen
Die Gruppe stellt klärende Fragen, die helfen das Verständnis des Problems oder des Vorschlags zu verbessern. Hier muss in der Moderation darauf geachtet werden, dass die Informationen von der/dem Vorschlagsinhaber*in zur Gruppe fließen, fließt die Information von Teilnehmer*innen der Gruppe zur/zum Vorschlagsinhaber*in, so handelt es sich nicht mehr um klärende Fragen, sondern bereits um Feedback. Die Trennung ist hier aber wichtig, so dass erst alle Informationen mit der Gruppe geteilt wurden, bevor das Feedback der Gruppe geteilt wird.
- Feedback geben
Jede*r Teilnehmer*in der Gruppe gibt ein kurzes Feedback (der Reihe nach) zum Vorschlag und teilt ggf. Verbesserungsvorschläge. Zustimmungen zu Vorredner*innen werden bspw. durch einen Daumen hoch abgekürzt. Der/Die Vorschlagsinhaber*in macht sich Notizen, nimmt aber keine Stellung. Es soll keine Diskussion oder Gespräch entstehen, nur eine reine Ressonanzrunde.
- Feedback integrieren / Vorschlag anpassen oder präzisieren
Der/Die Vorschlagsinhaber*in bekommt die Möglichkeit zum Feedback Stellung zu nehmen, seinen/ihren Vorschlag anzupassen oder zu präzisieren. Hier kann ein Vorschlag bereits so angepasst werden, dass auf Einwände, die im Feedback geteilt wurden, eingegangen wird.
- Einwände sammeln
Nachdem der angepasste Vorschlag vorgestellt wurde wird in der Gruppe nach validen Einwänden (Vetos) gegen den Vorschlag gefragt. Einwände sind dann als valide zu betrachten, wenn eine Gefahr für das Ziel der Gruppe oder sogar des Unternehmens besteht.
- Integration der Einwände und “Safe enough to try”
Bestehen valide Einwände, so muss im moderierten Dialog herausgefunden werden ob es Möglichkeiten gibt, den Einwand zu beachten und gleichzeitig das vorgestellte Problem zu lösen. Sobald eine derartige Lösung gefunden wurde ist der Vorschlag “safe enough to try” und somit von der Gruppe akzeptiert.
Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass sich das Vorgehen im ersten Moment etwas künstlich anfühlt. Die Struktur hilft allerdings dabei, dass die Gruppe fokussiert auf das Problem agiert und, vor allem durch das Trennen von Fragen und Feedback, Endlosdiskussionen vermieden werden. Echte valide Einwände gibt es meiner Erfahrung nach nicht sehr oft. Wenn sie aber aufkommen ist es wichtig, dass der Einwand wertgeschätzt wird, schließlich wurde eine Gefahr erkannt, welche alle Teilnehmer*innen betrifft. Sollte der Einwand im Dialog nicht gelöst werden können, muss ein gemeinsamer Vorschlag im Nachgang erarbeitet werden und in einem der nächsten Meetings zur Entscheidung gebracht werden.
Fazit
- Eine schnelle und effiziente Entscheidungsfindung in Gruppen kann durch die Klarheit des Kontexts ermöglicht werden
- Für gute Entscheidungen muss eine bewusste Entscheidung für eine passende Entscheidungsform getroffen werden
- Mit dem integrativen Entscheidungsprozess gibt es eine sehr strukturierte Methode um eine Gruppe zu einem Konsententscheid zu führen
